Frank Niemann und Christoph Spies für die Energie Task Force im Interview

Foto: Stefan Gelhot

Wie die Energiekrise Meller Firmen trifft: Zwei Chefs sprechen Klartext

Von: Karsten Grosser, Quelle: https://www.noz.de/lokales/melle/artikel/unternehmer-aus-melle-ueber-energiekrise-und-hilfen-43579173

Der hohe Strompreis setzt Meller Firmen zu. Die Unternehmer Christof Spies von Spies Packaging in Gesmold und Frank Niemann von der Maschinenfabrik Niemann in Neuenkirchen zeigen im Interview Lösungsmöglichkeiten auf, fordern dafür aber Rückenwind aus der Politik – und schnelles Handeln.

Herr Spies, Herr Niemann, Sie gehören einer Taskforce „Energie“ des Meller Unternehmensnetzwerkes an. Was ist Ihre vordergründige Aufgabe?

Christof Spies: In der Taskforce wurden die Interessen der produzierenden Unternehmen gebündelt. Energie ist ein großer Kostenfaktor in unseren Unternehmen. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen müssen wir Wege suchen, auch weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Und das geht nur, indem wir hier vor Ort Energie erzeugen. Wir wollen mit der Taskforce ein Forum schaffen, um Informationen auszutauschen, aber auch eine gemeinsame Sprache zu sprechen gegenüber den sonstigen Beteiligten, den Kommunen und dem Landkreis, wo Projekte initiiert und genehmigt werden müssen.

Frank Niemann: Im Meller Unternehmernetzwerk kaufen wir – damals von Bürgermeister Stock initiiert – seit vielen Jahren Strom gemeinsam ein. Wir können den Strom am Markt nirgendwo günstiger einkaufen, aber trotzdem ist er jetzt zu teuer. Wir haben den Strom im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um den Faktor 4,5 teurer eingekauft. Das sind so erhebliche Kostensteigerungen, die langfristig nicht für jeden zu ertragen sind.

Faktor 4,5 – was bedeutet das in absoluten Zahlen für ein einzelnes Unternehmen?

Niemann: Das kommt natürlich darauf an, wie viel Strom Sie verbrauchen. Für die mittelständischen Unternehmen, also die überwiegende Zahl in Melle, wird das ein zusätzlicher sechsstelliger Betrag sein.

Spies: Bei uns ist er siebenstellig. Wir haben einen Stromverbrauch in der Größenordnung von 6.000 Haushalten. Die Sorge ist groß, dass gerade die energieintensiven Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil wir in Deutschland gegenüber den europäischen Ländern die höchsten Energie- und Stromkosten haben. Das war schon vor der Krise so und hat sich jetzt noch mal verschlimmert. Wir haben im internationalen Wettbewerb gravierende Nachteile.

Christoph Spies.
Christoph Spies. FOTO: STEFAN GELHOT

Was können Sie tun?

Spies: Ein Mittel ist die Eigenstromerzeugung, um sich unabhängiger zu machen von den Stromlieferanten. Wir brauchen aber einen gesetzlichen Rahmen sowie Unterstützung und Fürsprecher auf allen Ebenen, um künftig vor Ort deutlich mehr Strom zu erzeugen als bisher, sei es über Photovoltaikanlagen oder Windkraft. Es braucht eine gewisse Akzeptanz der Allgemeinheit und den Willen der Politik. Der Bund hat ja gezeigt, wie schnell etwas passieren kann, wenn der Wille da ist, Stichwort Gasterminal. So etwas Ähnliches wünschen wir uns im Kleinen. Dass eine Windkraftanlage nicht sieben Jahre von der Planung bis zur Umsetzung braucht, sondern dass es deutlich schneller geht. Wir sind davon massiv abhängig, dass alle Akteure mitspielen.

Gibt es in Ihrem Netzwerk Unternehmen, die schon konkret darüber nachdenken, eine Windenergieanlage zu installieren?

Niemann: Ja. Eine PV-Anlage haben schon viele. Doch wir brauchen auch Strom in den dunklen Zeiten und im Winter. Dann bleibt noch die Windkraftanlage übrig. Ich hatte schon 2013 die Idee, eine Windkraftanlage auf unserem Gelände zu bauen. Seit 2013 höre ich von der Stadt Melle und dem Landkreis Osnabrück aber immer nur, warum es nicht geht. Aber mir hat nie jemand gesagt, wie es geht und was ich machen soll. Die aktuelle Lage ist jetzt so, dass wir uns damit nicht mehr zufriedengeben können.

Würde eine solche Anlage direkt auf Ihrem Firmengelände stehen?

Niemann: Es gibt verschiedene Möglichkeiten: in Windvorranggebieten, in Gewerbe- und Industriegebieten, auf dem eigenen Gelände oder auf Nebenflächen. Wir haben schon eine konkrete Stelle für uns ausgemacht. Die gehört einem Bauern, der damit einverstanden wäre, es dort zu platzieren. Wir sind dabei, das im Detail zu überprüfen, sehen aber noch viele Hürden.

Frank Niemann. FOTO: STEFAN GELHOT
Frank Niemann. FOTO: STEFAN GELHOT

Sehen Sie Möglichkeiten, dass eine Eigenversorgung durch regenerative Energiequellen den kompletten Strombedarf Ihrer Unternehmen decken kann?

Niemann: Wir haben PV-Anlagen schon seit vielen Jahren und haben bereits eine Autarkiequote von etwa 35 Prozent. Das funktioniert im Sommer gut, aber eben nicht in den dunklen Zeiten. Ich denke, mit einer Windstromanlage kann man schon in einen Bereich zwischen 80 und 90 Prozent kommen. Wir haben aber noch einen zweiten Ansatzpunkt zu dieser Windkraftanlage. Wir möchten unsere jetzige Gasheizung mit dieser Windstromanlage eliminieren und umstellen auf eine Industriewärmepumpenanlage. Auch dafür haben wir ein Konzept, aber dafür brauchen wir als Primärenergiequelle den Strom. Damit würden wir den nächsten Schritt zu einer CO2-freien Produktion machen.

Wie weit verbreitet sind solche Überlegungen bei anderen Unternehmen im Netzwerk?

Spies: Wir haben festgestellt, dass wirklich alle irgendwie aktiv sind. Das zeugt von der Dringlichkeit des Themas.

Niemann: PV-Strom kann fast jedes Unternehmen für sich selbst erzeugen. Aber die Windkraftanlage kann nicht jedes Unternehmen in seinem Bereich aufbauen. Das wirft die Frage auf, wie man sich zusammenschließen kann. Wenn ich meinen Windstrom nicht brauche, kann ich den irgendwem anders zur Verfügung stellen? Nach unserer Idee müsste man die neuen Energieanlagen in Melle bündeln und eine Organisation aufbauen, etwa die Meller Stadtwerke.

Würde die Stadt Melle das unterstützen?

Niemann: Wir sehen aktuell null Unterstützung. Die Stadt Melle ist für eine Windkraftanlage beispielsweise nicht die genehmigungspflichtige Stelle. Das wäre der Landkreis. Der agiert, ich drücke mich vorsichtig aus, sehr zurückhaltend. Für die aktuelle Lage, in der wir uns alle befinden, eigentlich unverständlich. Wir sind jetzt seit drei bis vier Monaten ernsthaft dabei, dort anzufragen, wie das funktionieren kann, und machen Vorschläge. Es wird immer nur eine Abwehrhaltung gezeigt. Wir erwarten von den Behörden doch kein Geld, sondern das wäre unsere eigene Investition.

Spies: Wir haben mal versucht, ein Projekt zu initiieren, um mit unserer Abwärme die Gesmolder Schule zu heizen. Aber die Stadt Melle sieht sich nicht in der Lage, eine Machbarkeitsstudie finanziell mitzutragen oder zu unterstützen, was ich sehr schade finde. Profiteur wäre ja auch letztendlich die Stadt. Wir wünschen uns ein übergeordnetes Denken zwischen Wirtschaft und Kommune.

Christoph Spies (links) und Frank Niemann (Mitte) im Gespräch mit Redakteur Karsten Grosser. FOTO: STEFAN GELHOT
Christoph Spies (links) und Frank Niemann (Mitte) im Gespräch mit Redakteur Karsten Grosser. FOTO: STEFAN GELHOT

Der neue Stadtbaurat, der im Februar antreten wird, hat angekündigt, die Klimaneutralität der Verwaltungsgebäude anzustreben.

Niemann: Dafür braucht es Strom. Strom wird die erste Energiequelle für alle sein. Wir brauchen Strom ohne Ende. Ich habe das Gefühl, dass die Leute weder bei der Stadt noch beim Landkreis es verstanden haben, dass es hier um Industrieerhaltung, um Sicherung von Arbeitsplätzen geht – und nicht um die Industrialisierung. Wir bei Niemann haben eine so tiefe Fertigung, die fast keiner mehr hat. Das ist unser Anspruch, aber ob ich diesem Anspruch weiterhin gerecht werden kann, wenn der Strom hier das Zehnfache kostet von dem, was er in Polen kostet, das weiß ich nicht.

In Melle sollen an drei Standorten alte Windräder durch neue, wesentlich höhere ersetzt werden. Da gibt es auch Gegenwind aus der Bevölkerung. Wie wollen Sie die Bürger mitnehmen?

Niemann: Wir brauchen mehr Akzeptanz durch die Bevölkerung, das ist ganz klar.

Frank Niemann. FOTO: STEFAN GELHOT
Frank Niemann. FOTO: STEFAN GELHOT

Wäre es eine Möglichkeit, Mitarbeiter an solchen Projekten zu beteiligen?

Niemann: Wenn man Strom herstellt, egal wie, dürfen sie den nach aktuellem Gesetz nicht verkaufen, denn dann wären Sie Stromhändler. Sie dürfen den nur für den Eigenbedarf nutzen. Aber es gab ja mal die Idee einer lokalen Stromvermarktungsstelle. Der von Meller Firmen produzierte Strom, der von den Firmen gerade nicht gebraucht wird, könnte in einen großen Topf eingespeist und den Meller Bürgern dann als Meller Strom verkauft werden. Die Meller Bürger hätten durch weniger Netzentgelt vielleicht etwas davon. Das ist aber so kompliziert, da müssen Politik und Experten ran. So machen es andere Orte, wie beispielsweise Saerbeck in der Region Steinfurt. Die sind auf dem Weg, CO2-freie Kommune zu werden. Die haben Windenergie im Bürgerpark, die haben Biogas und versorgen sich selbst. Das könnte sich Melle auch mal zum Ziel machen.

Spies: Wir sind jetzt an allen Ecken Grün. Das könnte sich die Politik ja mal auf die Fahnen schreiben: 2030 hat jedes Dorf zwei Windräder und zwei Biogasanlagen. Wir wollen versuchen, CO2-frei mit dem Strom klarzukommen.

Christoph Spies. FOTO: STEFAN GELHOT
Christoph Spies. FOTO: STEFAN GELHOT

Wie steht die Stadt Melle dazu?

Spies: Wir haben die Stadt mit einem Fragebogen konfrontiert, haben bezüglich Klimakonzepte und CO2-Neutralität aber eher ausweichende Antworten bekommen. Konkretes scheint es dort nicht zu geben.

Niemann: Wir hatten angeregt, zusammen nach Saerbeck zu fahren und uns das anzuschauen. Aber seitens der Stadt gab es wenig Interesse.

Was gibt Ihnen Optimismus für die Zukunft?

Niemann: Die neue Regierung in Niedersachsen hat sich das jetzt noch mal aufs Blatt geschrieben. Wenn die ersten Existenzen bedroht sind, hat die Politik keine Ausreden mehr.

Wie viel Geduld haben Sie noch?

Niemann: Das darf kein halbes Jahr mehr dauern.

Spies: Wir müssen jetzt Gas geben und die Weichen stellen.

Niemann: Mit einem weiteren halben Jahr würde ich mich nicht zufriedengeben. Ich sehe auch keinen Grund, warum. Worauf sollten wir warten?

MEHR INFORMATIONEN:

Das Meller Unternehmensnetzwerk

Das Meller Unternehmensnetzwerk ist ein Verein, in dem sich Firmen zusammengeschlossen haben, um beispielsweise Meinungen und Erfahrungen auszutauschen, sich zu unterstützen und Synergien zu nutzen. Das Netzwerk hat nach eigenen Angaben rund 30 Mitglieder, vornehmlich aus dem produzierenden Sektor. Diese Unternehmen stehen für rund 7000 Arbeitsplätze und einen Umsatz von rund 2 Milliarden Euro. Unter diesen Betrieben sind auch die Meller Firmen der Gesprächspartner. Christof Spies ist geschäftsführender Gesellschafter bei Spies, einem Hersteller von Kunststoffverpackungen. Frank Niemann ist Geschäftsführer der Maschinenfabrik Wilhelm Niemann.

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